Archiv für den Monat Mai 2015

Die Flucht nach vorn

Wem sage ich das, Ihr wisst es längst: Mein Blog ist vernachlässigt. Ich poste längst nicht mehr so regelmäßig wie zu Beginn. Dafür gibt es vielleicht zwei Hauptgründe.

Einerseits bewegt sich schlicht und einfach nicht viel. Wir haben uns in unserer Ehe wieder gut arrangiert. Der Alltag läuft, mal besser, mal schlechter, kein Durchbruch, kein Absturz. Keine Bitterkeit, aber auch keine Ekstase. Funktionierendes Teamwork. Kein Sex.

Andererseits ist meine Zeit und Aufmerksamkeit, schon immer knapp, an anderer Stelle gebunden: Seit einigen Monaten habe ich eine Affäre.

Es fing mit einem harmlosen Quatsch an, eine Online-Bekanntschaft, dann stellten wir fest, dass vieles für uns ideal passt. Wir sehen uns ca. alles zwei Wochen, oft nur für eine kurze Verabredung. Sie reist mir nach Möglichkeit nach auf meinen Dienstreisen.

Alles passt: Wellenlänge und Gespräche, Selbstironie und trockener Humor, ständige prickelnde Erotik, gelegentlicher aufregend-intensiver Sex. Wir sprechen sehr offen, sehr erwachsen, über unsere Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen, Grenzen. Wir wissen beide, dass wir keine große Zukunft haben, aber wir genießen die Gegenwart.

Natürlich habe ich Zweifel. Natürlich macht es keinen Spaß, zu verheimlichen und zu betrügen. Dass es aber für meine Ehe besser wäre, weiter mit dem dunklen Schatten zu leben, dem Gefühl, etwas Wesentliches fehlt, das ständig unausgesprochen zwischen uns steht, das glaube ich nicht.

Deshalb denke ich, zumindest im Moment, es ist eine win-win-win-win-Situation: Die Kinder haben einen alltäglich deutlich entspannteren Papa, meine Frau einen energischeren, besser gelaunten, kraftvoll zupackenden Ehemann, mein Chef einen spürbar selbstbewussteren Mitarbeiter. Ich bekomme, was ich will und was ich meine, zu brauchen – und noch mehr.

Es überrascht mich selbst ein bisschen: Ich fühle mich gut. Kein Jammern, kein Selbstmitleid, kein Suchen, kein Flautencounter mehr. Und eben weniger Zeit, zu bloggen.

Nicht nur du?

„Nicht nur du“.

Unter dieser Überschrift widmet sich ein aktueller Artikel in der Süddeutschen Zeitung der Frage, ob eine monogame Beziehung überhaupt noch zeitgemäß ist.

Noch vor 20 Jahren wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass im Fernsehen oder mitten in der Stadt Seitensprung-Agenturen auf Plakaten für „sinnliche Abenteuer mit Niveau“ werben. Heute besuchen junge Paare ganz unverkrampft Swingerpartys. Und polyamore Intim-Netzwerke buchen sich einen Stammtisch in der Szene-Bar.

Ich habe schon viele derartige Artikel gelesen — von den monogamen Schwänen und den männlichen Primaten, die nur versuchen, ihren Samen möglichst breit zu streuen. Also hatte erwartet, nicht viel neues zu finden. Dann war ich doch erstaunt, wie ausführlich und ausgewogen der Artikel das Thema behandelt.

Am Ende hatte ich jedoch einfach nur ein flaues Gefühl. Vielleicht einfach deshalb, weil in meinem Leben doch alles so kompliziert erscheint? Weil ich nicht mal weiß, was meine Frau von dem Artikel halten würde, hätte sie ihn gelesen? Weil ich ihn ihr nicht mal zu lesen empfehlen kann, ohne dass das sofort Fragen auftauchen: Warum dieses Thema, was willst Du mir damit sagen?